Organ meets Jazz
Eine musikalische Reise durch die Zeit
Die Geschichte der sakralen Musik ist für viele Jahrhunderte die Geschichte der Vokalmusik. Die Melodie zu „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ ist um 1200 entstanden nach dem Vorbild des Hymnus „Veni redemptor gentium“ des Ambrosius von Mailand (um 386).
Diese Melodie wird aufgegriffen von B. Resinarius und in der damals üblichen Art und Weise bearbeitet: die Melodie, der cantus firmus ((lat., fester oder besser "fixierter" Gesang), liegt im Tenor, die übrigen Stimmen umranken und umspielen sie in freier Polyphonie. Nur am Anfang nimmt jede Stimme die Melodie ein wenig auf.
Unter dem Titel „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ - zwischenzeitlich wurde der Text von Martin Luther gedichtet - vertont S. Scheidt diesen Choral. Wichtiges ist – im musikalischen Sinne – geschehen: die Melodie steht jetzt im Sopran. Osiander begründet dieses Vorgehen so: „Ich weiß wohl, daß die Komponisten sonst gewöhnlich den Choral im Tenor führen. Wenn man aber das thut, so ist der Choral unter anderen Stimmen unkenntlich. Dann der gemein Mann verstehet nicht, was es für ein Psalm ist, und kann nicht mitsingen. Darumb hab ich den Choral in den Discant genommen, damit er ja kenntlich sey und ein jeder Laie mitsingen könne.“ Religiöser Gesang während des Gottesdienstes wird jetzt von der Gemeinde ausgeführt. Für das Ohr des Laien ist die Melodie, gespielt im Sopran, leichter zu identifizieren.
D. Buxtehude verziert bereits die Melodie und begleitet sie in den Unterstimmen. Bei J.G. Walther liegt die Melodie im Bass, die anderen beiden Stimmen imitieren sie vor. Von J.S. Bach wird ein vierstimmiger Choralsatz vorgestellt.
Aus der Zeit der Klassik existieren seltenst Choralbearbeitungen oder Variationen zu Chorälen. Daher nimmt die Zeitreise ihren weiteren Verlauf in der Romantik. Während im Barock noch die Melodie im Vordergrund stand und diese der singenden Gemeinde vorgestellt werden sollte, werden in den Vorspielen der Romantik melodische Elemente mit Motiven, die sich aus dem Text ergeben, zu einem Ganzen verwoben. Die Gemeinde soll bereits durch das Vorspiel auf den Inhalt des zu singenden Liedes aufmerksam gemacht werden. Musikalische Affekte und Tonmalerei lassen dabei den strengen Satz aufbrechen. Vorgestellt werden Choralbearbeitungen von J.Chr.H. Rinck und M.G. Fischer.
H. Schink und K. Gerok sind Vertreter der Spätromantik. Schinks Choralbearbeitung greift formal auf barocke Vorbilder zurück und ergänzt diese um romantische Harmonien. Bei Geroks Werk handelt es sich um ein Duett.
Als ein Vertreter der Moderne wird J.N. David vorgestellt. Charakteristisch für dieses Werk ist es, dass die Melodie konsequent durchgeführt wird. Die Melodie liegt im Bass, der Sopran nimmt diese in einer Art Kanon auf, allerdings in doppeltem Tempo. Dieses Prinzip ist streng durchgeführt. Die Mittelstimmen haben ihre eigenen Melodien. Dadurch kommt es zu ungewohnten Harmonien und Klängen, die sich erst bei mehrmaligem Hören erschließen. E. Pepping führt die Melodie im Bass, im Sopran werden mit Hilfe der Tonmalerei Stimmungen des Textes wieder gegeben, unterbrochen durch Teile der Melodie.
Die Zeitreise endet bei J.M. Michel, wir sind bei den jazzverwandten Stücken angelangt. Die Melodie wird nur noch angedeutet. Der Charakter des Stückes ändert sich durch Öffnung der Harmonien und Zusammenklänge, auch durch ein neues Tempo und einen neuen Rhythmus.
Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort
Martin Luthers berühmtes Lied entstand im Jahre 1541. Schon früh hatte er sich mit Musik beschäftigt, der er zeitlebens „den nächsten locum“ neben der Theologie gab. Die Reformation war bereits in vollem Gange - am 31. Oktober 1517 erschienen die 95 gegen das Unwesen des Ablasshandels gerichtete Thesen, und 1522 hatte er von der Wartburg aus seinen „lieben Deutschen“ das Neue Testament übersetzt - als Luther zu komponieren begann.
Das Lied steht unter dem Eindruck drohender Kriegsgefahr, benennt zugleich Luthers Ängste um den Erhalt der Kirche und symbolisiert in unvergleichlich knapper und zielgerichteter Sprache die Notwendigkeit des Gebetes und des Glaubens in der Allmacht Gottes.
1. Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort / und steur des Papsts und Türken Mord, / die Jesum Christum, deinen Sohn, / wollen stürzen von deinem Thron!
2. Beweis dein’ Macht, Herr Jesu Christ, / der du Herr aller Herren bist; / beschirm’ dein’ arme Christenheit, / daß sie dich lob' in Ewigkeit!
3. Gott Heil’ger Geist, du Tröster wert, / gib dein’m Volk ein’rlei Sinn auf Erd’, / Steh bei uns in der letzten Not, / g’leit uns ins Leben aus dem Tod!
Der Text der ersten Strophe ist nicht ganz unproblematisch, stellt er doch den Papst und die Türken (= Moslems) als direkte Feinde Christi dar. In einer späteren Fassung wird das Wort „Papst“ durch „Satan“ ausgetauscht. Heutigentages hat das Lied in einer „oekumenischeren“ Variante Eingang in unser Gesangbuch gefunden: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort / und steure deiner Feinde Mord, ...“
Gerade die erste Strophe musste aber auch für unsägliche Umdeutungen herhalten. So steht zum Beispiel auf der kleinsten Kirchenglocke in Zeiden, die 1916 eingeschmolzen und 1992 wieder neu gegossen wurde; „Erhalt uns Herr bei Deinem Wort! / erhalt es Deutsch an diesem Ort.“
J. Jonas (1453-1555) erweiterte das Lied um zwei Strophen, die allerdings nicht in das Gesangbuch aufgenommen wurden.
Letzte Änderung am 06. Jan. 2025